Interview

„Das Thema Werbung müsste man endlich mal angehen.“ (Torsten Kliesch)

Torsten Kliesch Torsten Kliesch ist Geschäftsführer bei Ökostadt Rhein-Neckar e. V., das vor allem als Mitgründer des Carsharings in der Region bekannt ist. Eine umweltfreundliche Mobilität ist das Kernthema des Heidelberger Vereins, der neben seinen „Stadtmobil“-Autos im Zentrum für umweltbewusste Mobilität (ZuM) auch Beratung zur nachhaltigen Mobilität anbietet. Weitere Initiativen sind das im letzten Jahr in Kooperation mit dem BUND Heidelberg und Transition Town Heidelberg frisch initiierte Repair Café sowie das Projekt „Auf den Spuren des Klimawandels“, das Kindern und Jugendlichen Umweltzusammenhänge erklären möchte. Ökostadt e. V. ist in vielen Arbeitskreisen aktiv und steht für gelebten Umweltschutz in der Region.

Gutes Leben – was bedeutet das für Sie?

Für mich heißt das zunächst einmal, dass meine Grundbedürfnisse gedeckt sind und ich mir um meine finanzielle Zukunft keine Gedanken machen muss. Es heißt aber auch, Zeit für meine Frau und Freunde zu haben, für Dinge, die mich glücklich machen. Viele streben ja sehr nach materiellem Glück, nach Konsumgütern. Für mich gehört das jedoch nicht zu einem guten Leben. Ich habe kein Auto, kein Riesenhaus mit Swimmingpool, keine teure Uhr am Handgelenk, aber ich vermisse das auch alles nicht – ganz im Gegenteil. Eher ist es für mich ein gutes Leben, dass ich dem „Konsumterror“ ein Stück weit widerstehe. So habe ich mehr Zeit fürs Wesentliche und kann überlegen, was mich wirklich glücklich macht: Zeit mit Freunden zu verbringen, statt Hab und Gut anzuhäufen. Meine Zeit zu genießen und auch mal abzuschalten.

Was bedeutet Suffizienz für Sie? Fällt Ihnen ein Sinnbild ein, mit dem Sie das verdeutlichen können?

Für mich bedeutet Suffizienz: bewusst leben, aufs Wesentliche fokussieren und auf Unnötiges verzichten. Ein genügsameres Leben im richtigen Maß mindert den Konsumdruck, der auf uns allen lastet. Ich brauche z. B. nicht alle Nase lang ein neues Handy und muss nicht dreimal im Jahr in Urlaub fliegen. Das ist doch völlig übertrieben; schon wenn ich daran denke, wie viel Zeit man mit der Auswahl des Reiseziels und Buchung der Reise verbringt. Und häufig finden die Leute dann gar nicht die Entspannung, die sie gesucht haben. In unserer schnelllebigen Gesellschaft wird häufig gedankenlos konsumiert. Beispiel Fleisch: früher etwas Besonderes, heute alltäglich. Hauptsache es ist billig, das Schicksal der Tiere ist uns egal.

Wenn Suffizienz ein Getränk wäre, welches wäre es für Sie und warum?

Wasser, denn: Warum trinke ich? Weil ich Durst habe. Wasser stillt ihn. Es erhält meine Gesundheit und tut mir gut. Es ist natürlich, eine Konzentration auf das Wesentliche.

Für wie suffizient auf einer Skala von 0 (nicht suffizient) bis 10 (sehr suffizient) halten Sie Ihren aktuellen Lebensstil im Bezug auf die Lebensbereiche Konsum, Ernährung, Unterwegs und Zuhause? Und wie begründen Sie Ihre jeweilige Einschätzung?

 Beim Konsum würde ich mir wohl eine 7 geben. Ich überlege mir immer, ob ich eine Sache wirklich brauche. Ich gehe kaum shoppen, mein Fahrrad ist 15 Jahre alt und wird sicher noch viele weitere Jahre mitmachen. Ich lasse meine Kleider reparieren – auch, weil ich an manchem Stück einfach hänge. Dass sie modisch sind, ist mir nicht so wichtig.

Das Thema Ernährung finde ich schwieriger. Es gibt ja wirklich die leckersten vegetarischen Gerichte; vielen Leuten ist das gar nicht bewusst, und das ist schade! Dementsprechend esse ich wenig Fleisch und achte auf seine Herkunft. Allerdings trinke ich sehr, sehr gerne Kaffee, und der ist natürlich nicht gerade ein leuchtendes Beispiel an Suffizienz … Muss von fern hertransportiert werden, verbraucht bei der Produktion große Mengen Wasser. So etwas drückt den Wert natürlich; auch dass ich durchaus mal Sachen wegwerfe, das ist ja auch nicht gut. Ich gebe mir also alles in allem eine 5.

Bei Unterwegs würde ich mir eine 8 geben. Ich habe kein eigenes Auto, und wenn ich, was selten vorkommt, ein Auto brauche, nutze ich das Carsharing. Die Option auf ein Auto zu haben, finde ich durchaus sinnvoll, manches geht eben nicht ohne. Ich fahre jedoch fast immer mit dem Fahrrad, bei Regen eben mit Regencape. Sich Wind und Wetter auszusetzen, härtet ja ab, auch wenn manche meiner Bekannten das anders sehen. Nur wenn es gar nicht anders geht, bei Schnee und Eis etwa, steige ich in den Bus oder die Bahn. Auf Flugreisen verzichte ich komplett.

Für Zuhause würde ich mir eine 7 geben. Zwei Pullis anziehen, statt die Heizung aufzudrehen, ist meine Sache nicht; ich möchte es schon ein bisschen kuschelig und angenehm haben. Das ist aus Umweltgesichtspunkten vielleicht nicht optimal, aber auf einen moderaten Umgang mit dem Heizen achten wir schon. Auch auf überflüssige Stromfresser und dass nicht unnötig Licht brennt. Aber Luft nach oben ist da aber sicher noch …

Welche äußeren Einflüsse erschweren Ihnen eine suffiziente Lebensweise?

Da fällt mir zuerst mein Umfeld ein – viele davon Autobesitzer, die immer wieder schmunzeln, wenn ich sage, dass ich selbst keines habe. Das setzt mich doch etwas unter Druck. Andererseits will ich ja gar kein eigenes Auto, weil ich es unnötig finde, und will mir auch keines anschaffen. Aber wenn Freunde etwas Bestimmtes haben, überlegt man eben schon mal, ob man das nicht vielleicht auch braucht. Viel massiver finde ich jedoch den Einfluss der Werbung: Da kauft man eben doch das eine oder andere im Grunde Überflüssige. Wenn mir dann bewusst wird, dass der Auslöser dazu Werbung war, mag ich das oft gar nicht wahrhaben. Ich bin da tatsächlich anfällig, und das ärgert mich. Ein weiterer Punkt: die ganzen Geräte, die heutzutage kurz nach Ablauf der Garantie den Geist aufgeben. Nur gefühlt oder tatsächlich geplant? Das weiß ich nicht und es ist ja auch schwer zu beweisen. Aber jeder kennt doch dieses Phänomen, und – schwupps – schon wieder muss man sich ein neues Gerät kaufen.

Stellen Sie sich vor, es gäbe keinen politischen Apparat, sondern eine Suffizienz-Fee, was würden Sie sich als Erstes von ihr wünschen?

Ganz ehrlich? Ich würde mir wünschen, dass sie Werbung einschränkt. Unsere Wirtschaft sollte in puncto Werbung stärker an die Kandare genommen werden. Werbung setzt die Menschen unglaublich unter Druck, manipuliert sie und jubelt ihnen Lebensstile unter, die ihnen eigentlich gar nicht entsprechen. Da werden Bedürfnisse geweckt, die man ohne Werbung nie entdeckt hätte.

Weg von der Fee, zurück zur Realität: Was wäre der aus Ihrer Sicht nächste sinnvolle gesellschaftspolitische Schritt um diesen Wunsch umzusetzen?

Das, was die Fee kann, könnten Menschen doch auch. Das Thema Werbung müsste man endlich mal angehen. Aber nicht falsch verstehen: ich habe nichts gegen die Menschen, die in der und für die Werbung arbeiten. Die machen ihren Job und da haben viele Menschen einen Job gefunden. Es geht also nicht um ein radikales Abschaffen von Werbung oder Verteufelung der Werbetreibenden. Aber ich würde mir einen gesellschaftlichen Diskurs wünschen, wie viel und welche Form von Werbung erlaubt sein darf und sollte, an welchen Stellen, für was und was wir nicht wollen. Werbefilme, die Autos zeigen, die ganz harmonisch, geräuschlos und als könnten sie keiner Fliege etwas zu leide tun, durch grüne Täler fahren und damit suggerieren, umweltfreundlich zu sein, können wir bei aller Rücksicht auf Arbeitsplätze nicht gut heißen. Ich würde mir auch mehr Werbegerechtigkeit wünschen. Ein Beispiel: Die Automobilindustrie in Deutschland gibt alleine mehr als 2 Mrd. Euro im Jahr für Werbung aus, ihre Anzeigen und Werbefilme sind allgegenwärtig. Werbung für Fahrräder dagegen ist fast gar nicht präsent. Dabei gehört Fahrradfahren zu einem ökologischeren, genügsameren Lebensstil, den wir stärker in das Bewusstsein bringen müssten. Es gibt ja durchaus Positivbeispiele, man denke nur an Zigarettenwerbung. Solche Beschränkungen würde ich mir auch für Alkoholika wünschen, und dann schrittweise immer so weiter. Natürlich heißt es dann, das schadet der Wirtschaft. Aber genau das ist ja der Punkt: Wir müssen massiv an unserem wirtschaftsorientierten Denken arbeiten. Ich wünsche mir eine Postwachstumsgesellschaft, weg vom Wachstumsgedanken zu kommen. Wir sollten vielmehr überlegen, was die Menschen glücklich macht, wie das in anderen Ländern bereits geschieht. An einer Heidelberger Schule wurde Glück als Unterrichtsfach eingeführt – mit großem Anklang. Gerade Schulen oder Vereine sollten Werte wie Genügsamkeit, Füreinander-da-Sein, Einander-Helfen vermitteln und zeigen, wie man ohne Konsumdruck zu einem guten Leben finden kann. Natürlich brauchen wir auch eine möglichst breite politische und gesellschaftliche Diskussion dieser Themen. Auch der genügsamste Lebensstil hierzulande ist immer noch mit sehr viel Ressourcenverbrauch und Emissionen verbunden. Da geht immer noch was, mit der Suffizienz!

Nächste Woche im Interview: Johannes Gerstner (Architekt, „Heidelberg-Kreis Klimaschutz und Energie“)

2 Kommentare zu “„Das Thema Werbung müsste man endlich mal angehen.“ (Torsten Kliesch)

  1. Das beste gegen das Geräteproblem ist, sich keine anzuschaffen – oder so wenige wie möglich. Nicht jeder kann auf sein Smartphone verzichten (obwohl ein altes Handy den Vorteil hat, nicht veralten zu können :o), aber wenn man ein bisschen aufpasst, kann man trotzdem vieles vermeiden. Es gibt z.B. Küchenwaagen, die nicht elektrisch funktionieren, und viele elektrische Wegwerf-Geräte braucht man einfach gar nicht. Wenn man da ein bisschen aufpasst (auch z.B. bei Werbegeschenken, die man ja auch NICHT mitnehmen kann), kann man es schaffen, fast keine Geräte zu besitzen, die kaputtgehen könnten.
    Und jetzt noch mein Lieblingszitat von Ani Difranco: „What a waste of thumbs that are opposable to build machines that are disposable.“

  2. Hallo Regina,
    danke für die gute und interessante Ergänzung. Sehe das genauso. Viele Menschen scheinen beinahe süchtig nach den neusten technischen Geräten zu sein, ohne sie wirklich zu benötigen. Mein Prinizip beim Einkaufen (nicht nur technischer Geräte) ist, mich spätestens an der Kasse noch mal grundsätzlich selbst zu fragen, ob ich das wirklich benötige, wirklich nutzen werde, das Geld dafür wirklich ausgeben möchte. Ganz oft lege ich dann einiges zurück und hinterher vermisse ich die nicht gekauften Dinge auch nicht.
    Ich finde zudem auch gut – wie du schreibst – nicht immer bei allem auf Technik zu setzen. Die geht oft, schnell kaputt. Viele neue Geräte lassen sich zudem nicht mal mehr reparieren. Wenn es eine mechanische Alternative gibt (kann allerdings auch kaputt gehen), ist das nicht selten die gefühlt langlebigere.

    Gruß
    Torsten Kliesch

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