Interview

„Mit diesem Coffee-to-go-Quatsch kann ich gar nichts anfangen“ (Johannes Gerstner)

Johannes GerstnerHeute wollen wir erfahren, was ein klimabewusster Architekt über das Thema Suffizienz denkt. Dazu besuchen wir Johannes Gerstner in seinem Büro. Herr Gerstner schloss 1984 sein Studium in Darmstadt ab und ist seit 28 Jahren in Heidelberg als Architekt tätig. Schon im Studium war ihm klar, dass er mehr möchte als nur schöne Fassaden und schickes Design: Bei seiner Arbeit steht der Mensch und die Schöpfung im Mittelpunkt. Dazu gehört für ihn auch energetisches Bauen, das seit 25 Jahren wichtiger Bestandteil seines Schaffens ist. Neben seiner Eine-Welt-Arbeit sitzt Herr Gerstner im Aufsichtsrat der Heidelberger Energiegenossenschaft und ist einer der Sprecher des Heidelberg-Kreis Klimaschutz und Energie.

Herr Gerstner, was bedeutet gutes Leben für Sie?

Zufriedenheit. Gesundheit sowieso, denn das ist ja das A und O. Ist man nicht gesund, tritt alles andere in den Hintergrund. Außerdem sollte man eine positive Grundeinstellung mitbringen, sich an allem freuen – auch an kleinen Dingen. Dann kann man wahrscheinlich ein gutes Leben führen. Beim Reisen muss ich persönlich zum Beispiel nicht ständig mit dem Flugzeug ans andere Ende der Welt oder für ein Wochenende mal nach Mallorca. Auch hier bei uns gibt es ja so viel Schönes, da muss man nicht immer weite Wege machen.

Womit wir schon beim Thema Suffizienz wären. Was bedeutet der Begriff für Sie?

Puuh … Also mit dem Wort Suffizienz kann ich nicht so viel anfangen. Aus meiner Zivildienstzeit als Rettungssanitäter kenne ich die Herzinsuffizienz. Oder nehmen wir die Chemie: Da ist eine Masse suffizient, wenn sie nicht mehr weiter aufzustocken ist. Sie ist zu 100 Prozent angereichert, auf 101 oder 102 kann ich dann nicht mehr kommen. Bezogen auf die Gesellschaft würde ich statt von Suffizienz lieber von einem sinnvollem Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen sprechen. Wenn ich den individuellen Lebensstil betrachte, bedeutet Suffizienz für mich Genügsamkeit und Zufriedenheit. Aber der Begriff selbst ist mir einfach zu sperrig. Er schließt schon wieder bestimmte Menschen aus, denn viele Leute wissen ja gar nicht, was mit Suffizienz gemeint ist.

Das ist wahr, besonders selbsterklärend ist der Begriff nicht. Wenn Sie sich jetzt mal ein Getränk vorstellen, das für ein genügsames, suffizientes Lebens steht, welches wäre das für Sie?

 Apfelschorle.

 Und warum?

 Man braucht die Äpfel nur vom Baum pflücken und pressen, fertig. Apfelschorle schmeckt und ist gesund. Ich mag durchaus auch gerne Orangensaft, aber Orangen gibt es hier eben nicht, also haben Sie wieder zusätzliche Transportwege. Mit manchen Getränken ist es für mich ähnlich wie mit dem Zeitgeist: Dieser Coffee-to-go-Quatsch beispielsweise, mit dem kann ich gar nichts anfangen. In Ruhe einen Kaffee trinken – jederzeit gerne. Aber einfach einen Pappbecher nehmen, damit herumrennen, trinken und das Ding dann wegschmeißen, wenn es leer ist? Das ist genau das Gegenteil eines verantwortungsvollen Lebensstils, finde ich.

Sie sind also noch ein Kaffeegenießer. Aber wie sieht es denn sonst so mit Ihrem Lebensstil aus? Stichwort Konsum, Ernährung, Unterwegs, Zuhause: Wo auf einer Skala von 0 (gar nicht suffizient) bis 10 (sehr suffizient) würden Sie sich jeweils einordnen? Fangen wir doch mal mit dem Konsum an.

Da würde ich mich bei 6 bis 7 einordnen. Ich bin ein bisschen asketisch veranlagt, muss nicht alles haben und auch nicht alles ausprobieren.

 Ok, das ging schnell. Und wie sieht es bei der Ernährung aus?

Wir haben uns letztes Jahr in der Einen-Welt-Gruppe mit dem Thema Fleisch und Sojabohnenanbau in Paraguay auseinandergesetzt. 90 Prozent des Sojaanbaus dort sind nur dazu da, den Fleischkonsum in Europa zu decken. Das hat mir deutlich gemacht, dass es mit unserem Fleischkonsum so nicht weitergehen kann. Seitdem esse ich weniger Fleisch. Ich bin kein Vegetarier, aber ich überlege mir jetzt schon zweimal: „Muss das Fleischgericht jetzt sein?“ und entscheide mich dann öfters bewusst dagegen. Bei Obst und Gemüse bin ich für die regionale Vermarktung. Und saisonal sollte es sein! Es ist doch toll, wenn endlich wieder Spargelzeit ist. Oder dass es nur einen Monat lang Erdbeeren gibt. Im Dezember brauche ich die doch wirklich nicht. Dann schmeckt es wieder umso besser, wenn es wieder Saison hat. Ich finde es eine Bereicherung des Lebens, nicht alles jederzeit verfügbar zu haben.

Das stimmt natürlich. Als letztes noch die Kategorien Unterwegs und Zuhause.

Oh, bei Unterwegs haben Sie meinen wunden Punkt erwischt, da würde ich mir eine 6 geben. Da draußen habe ich einen Motorroller stehen, und mit dem Auto bin ich auch oft unterwegs, teilweise auch meinem Berufsalltag geschuldet. Für Zuhause dagegen gebe ich mir eine 8. Da bin ich auch privilegiert, denn wir haben ein energetisch gut gebautes Haus mit Solaranlage und Regenwassernutzung.

Gibt es äußere Einflüsse, die Ihnen eine suffiziente Lebensweise erschweren?

Ja. Ich finde, in Heidelberg ließe sich noch einiges in diese Richtung verbessern. Beim Kulturangebot beispielsweise steht die Kommerzialisierung hier stark im Vordergrund, empfinde ich. Sogar Straßenkunst wird hier stark reglementiert und überwacht.

Aber Stadtkultur sollte ja ein Aneignen des Stadtraums sein, und das fehlt mir hier teilweise.

Das habe ich in anderen Städten schon anders erlebt, z. B. in München, da gibt es große Urban-Gardening-Flächen. Wo die Leute Spaß haben und etwas in der Stadt auf die Beine stellen können. Wie schwierig das hier ist, sieht man am Thema Grünflächen. Da haben mir in Heidelberg zu viele Investoren den Daumen drauf, jeder Quadratzentimeter wird verplant und damit der Allgemeinheit entzogen. Dabei gehören diese Flächen doch eigentlich der Öffentlichkeit, und da sollte man nicht dran rütteln.

 Aber inwiefern erschwert Ihnen das eine suffiziente Lebensweise?

Naja, mir persönlich jetzt vielleicht nicht, aber ich störe mich eben daran. Ein offenes Miteinander-Umgehen in der Stadt würde diese Lebensweise schon unterstützen, von der wir hier sprechen.

Gut, jetzt ist wieder ein bisschen Fantasie gefragt. Angenommen wir hätten auf der politischen Ebene eine Suffizienz-Fee, die alle Wünsche erfüllen kann. Was würden Sie sich persönlich als erstes von ihr wünschen?

Die öffentlichen Räume wieder mehr zu öffnen. Also mehr Treffpunkte und Attraktionen für den normalen öffentlichen Bereich schaffen oder zuzulassen, eben so etwas wie das Urban Gardening. Ohne großen Kommerz und zugänglich für alle Leute, nicht nur für diejenigen, die es sich leisten können. Ganz ohne Ausgrenzung. Im Energiebereich würde ich mir mehr Symbolprojekte wünschen: so etwas wie das Unterwasserkraftwerk im Neckar, das die Altoberbürgermeisterin Beate Weber in die Wege geleitet hat. Warum sollte es am Neckar zum Beispiel nicht eine moderne Wasserkraftanlage geben, die auch sichtbar ist? Oder ein Flussschwimmbad? Der Neckar als Ressource ist doch da – und wird eigentlich viel zu wenig genutzt. Oder kleine Windkraftanlagen ….Zuletzt würde ich mir in der Stadtpolitik wieder mehr Ideen und das Verfolgen von Visionen wünschen, auch solchen, die vielleicht ein bisschen wie Spinnerei wirken.

 Nächste Woche Im Interview: Simone Knapp (KASA und SOLAWI)

2 Kommentare zu “„Mit diesem Coffee-to-go-Quatsch kann ich gar nichts anfangen“ (Johannes Gerstner)

  1. Urban Gardening haben wir! Zum Beispiel in der Weststadt an der Christuskirche. Das ist ein großer Erfolg, nicht nur für die, die aktiv teilnehmen. Man sieht eigentlich immer irgendwen dort rumlaufen und die Pflanzen anschauen. An den Büschen, die dort vorher waren, sind alle nur vorbeigerannt, obwohl sie auch sehr schön waren. Aber durch den Garten ist die Ecke viel wohnlicher geworden.

  2. Liebe Anna,
    finde ich auch. Ich gehöre auch zu denen, die dort „einfach mal nur Pflänzlein bestaunen gehen“, wenn mein Weg mich dort vorbeiführt. Die Anlage hat durch das Urban Gardening total gewonnen, finde ich!

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